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15. MÄRZ 2024 »UND DER ADI STAND DRAUSSEN« (TEIL 1 VON 3)

Vor 90 Jahren heirateten Katharina Martz und Adi Dassler in Pirmasens. Das war der Beginn eines der erfolgreichsten »Startups« im vergangenen Jahrhundert. Es ist eine ganz simple Gleichung geworden: Käthe + Adi = adidas. Folge1.

Die Geschichte beginnt 17 Jahre vor der Hochzeit.

Wir schreiben den 17. Juli 1917.

Ein freundlicher Sommertag in Europa. Temperaturen tagsüber zwischen 20 und 30 Grad.

17. Juli 1917. der britische König Georg V. ändert den Namen seines Hauses wegen des Krieges mit dem Deutschen Reich von »Sachsen-Coburg-Gotha« in »Windsor«.

17. Juli 1917, deutscher Heeresbericht: Westlicher Kriegsschauplatz: An der Küste griffen die Engländer nach tagsüber lebhaftem Feuer wieder bei Lombartzyde an; sie wurden abgewiesen. Bei Courtecon erhöhte sich die Gefangenenzahl auf über 450 Franzosen. Östlicher Kriegsschauplatz: Die rege Gefechtstätigkeit bei Riga, Dünaburg und Smorgon hält an. Bei aufklärendem Wetter war an der Narajowka das Feuer stärker als in den letzten Tagen. Mazedonische Front: Die Lage ist unverändert.

17. Juli 1917. In Pirmasens, der Garnisonsstadt am Westrand des Pfälzerwalds, ist Not. Alle Kirchenglocken sind eingeschmolzen. Die Menschen müssen mit 1100 Kalorien pro Person auskommen. Die 400 Schuhfabriken sind in Vertriebsgesellschaften umgewandelt – übrig geblieben sind 41 Betriebe. Gegen den »Zwangszusammenschluss« wehren sich Unternehmer, indem sie die Produktion in »Kellerfabriken« verlagern, die in den letzten zwei Kriegsjahren den Schwarzmarkt versorgen. Es ist schwer, die Zeit zu überstehen, auch für Franz Martz, den erfolgreichen Leistenmodelleur.

17. Juli 1917 – an diesem Tag kommt Käthe, die Tochter des Franz Martz, zur Welt.

Zwei Jahre nach Käthe wird Marianne als dritte Tochter geboren. Danach kommen im Haus Martz noch ein Mädchen und drei Jungen zur Welt. Freche Brüder, brave Schwestern. Eine liebevolle Mutter, ein vielbeschäftigter Vater. Er bringt die Familie durch, ist ein respektierter Bürger in einer armen Stadt am Rande des Reichs.

Stadt-Chronist Helmut Schäfer wird über das Pirmasens der 1920-er Jahre schreiben: »Viele Frauen und Männer arbeiteten bis zur Erschöpfung, um sich die Chance zum Geldverdienen nicht nehmen zu lassen. Auch Adolf Hitler, in dem viele Pirmasenser den Retter in der Not sahen, ließ der Stadt wenig Hilfe zukommen. Die Leute warteten vergeblich auf die versprochenen Aufträge der Wehrmacht, die eigentlich ihren großen Bedarf an Stiefeln und Schuhen aus Pirmasens decken wollte.«

Marianne und Käthe bekommen all das kaum mit. Wenn die Eltern über ihre Sorgen reden, dann tun sie das hinter verschlossenen Türen.

Käthe ist jetzt 17.

Später wird sie sich im Gespräch mit dem Schriftsteller Hermann Utermann an ihre Zeit als junges Mädchen erinnern. Sie wird erzählen, wie es war, als da plötzlich ein fescher, schüchterner junger Mann aus Franken an die Haustür klopfte – und wie man sich verliebte. Sie wird Utermann berichten, wie sie nach Herzogenaurach geheiratet hat und wie es sich dort anfühlte.

Ihre Schwester Marianne wird als ältere Frau auch über diese Jahre erzählen. Ihre Nichte Sigrid fragt, »aunty« Marianne antwortet.

All das – die Gespräche der Marianne Hoffmann mit Sigrid Dassler und die »Sitzungen« von Käthe Dassler mit Hermann Utermann sind auf Band aufgenommen und von Helga Lang, der langjährigen adidas-Chefsekretärin, ins Reine geschrieben worden. Heute lesen sich die Protokolle wie ein sehr vertrautes Zwiegespräch von Käthe und Marianne:

Käthe: Das können wir nicht hoch genug einschätzen: Dass die Eltern die Familie so durch die harten Zeiten gebracht haben.

Marianne: Da hast Recht. Wir haben eine gute Kindheit gehabt.

Käthe: Auch wenn es mal eng hergegangen ist mit dem Geschäft vom Vater – uns Kinder haben die Eltern ihre Sorgen nicht spüren lassen. Manchmal habe ich die Brüder zum Teufel gewünscht.

Marianne: Ja, die! Die haben uns immer geärgert. Bei denen hast Du immer drauf gefasst sein müssen, dass sie einen Streich im Sinn haben.

Käthe: Das hat sich auch nicht geändert, als sie erwachsene Männer waren.

Marianne: Weißt noch, wie sie bei der Hochzeit von der Brigitte einen Kutschwagen organisiert haben. Das Brautpaar haben sie reingestopft und den Karren einmal durch Herzogenaurach gezogen. Dass es auch ein jeder sieht.

Käthe: Ja, das hat den Brüdern ähnlich gesehen, Mei hab‘ ich gelacht.

Marianne: Dein Mann nicht so.

Käthe: Ach, der hat das schon auch komisch gefunden. Aber er ist keiner gewesen, der laut lachte. Der Adi hat geschmunzelt, das hat zu ihm gepasst.

Marianne: So war er schon, als er nach Pirmasens gekommen ist. Schüchtern. Ein fescher Kerl, aber schüchtern. Er ist kein Draufgänger gewesen. Keiner, der plärrt »Hoppla, jetzt komm‘ ich.« Weißt noch, wie wir ihn zum ersten Mal getroffen haben?

Käthe: Freilich. Eines Abends hat es geklingelt, und der Adi stand draußen.

Detlef Vetten (Der Text ist der Biographie »Der Mann, der nicht singen konnte - und die Frau, die nicht klimpern durfte« entnommen)