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29. APRIL 2021 DIE RECHTE HAND VOM »CHEF« - IN GEDENKEN AN HORST WIDMANN

Im Alter von 80 Jahren ist Horst Widmann in Nürnberg gestorben. Kurz vor seinem Tod empfing er unseren Autor und sprach mit ihm lange über Käthe und Adi Dassler. Man telefonierte danach und verabredete sich zu einem nächsten Treffen. »Adi und Käthe«, sagte Widmann, »das ist ein großes Thema. Es gibt noch soviel zu erzählen.«.

Horst Widmann war Jahrzehnte lang eine der einflussreichsten Persönlichkeiten im Business mit Sportartikeln. Für Puma öffnete er als »Mister Africa« einen ganzen Kontinent. Widmann, ein großer Netzwerker, fungierte viele Jahre als Präsident des Europäischen Sportartikelherstellers (Fesi) und als Vizepräsident des Weltverbandes der Sportartikelindustrie (Wesgi)

Angefangen hat freilich alles mit adidas. »In meinem Büro bewahre ich einen meiner größten Schätze auf«, erzählte Widmann. »Wollen Sie wissen, was es ist?«

Sicher.

Widmann war bester Laune. Er trug ein geplättetes weißes Hemd, eine messerscharf gebügelte Hose aus grauer Sommerwolle, leichte italienische Slipper. Auf die Frage, wie es ihm gehe, wies er auf einen Rollator und sagte: »Es muss, es muss. Ich bin nun mal nicht mehr 30. Aber sei’s drum, jetzt zeige ich Ihnen meinen Schatz.«

Ein Paar Fußballschuhe waren’s. Braun. Alt. Gebrauchsspuren. Aber mit Liebe poliert.

»Die hat mir Adi Dassler ein Jahr vor seinem Tod geschenkt. In diesen Schuhen ist einer der deutschen Spieler 1954 Weltmeister geworden.«

1977 rief Adi Dassler seinen Sekretär Horst Widmann zu sich in die Villa. »Der Chef war sehr freundlich, es war schnell klar, dass es nichts Geschäftliches zu bereden gab. ,Horst’, sagte der Chef, ,Du machst eine gute Arbeit, ich bin sehr zufrieden.’ Dann meinte er, dass es an der Zeit sei, dass er bei sich ein bissl aufräumen würde. Er hat mir die Schuhe rübergeschoben und hat gemeint: ,Die hast Du Dir verdient. Halte sie in Ehren.’ Da habe ich fei geschluckt.«

Fast ein Vierteljahrhundert später, in der Nürnberger Villa des Managers. Horst Widmann sah auf die Weltmeister-Schuhe. »Und wie ich sie in Ehren gehalten habe.«

Anfang der 1970er Jahre sind Adi Dassler und Horst Widmann einander begegnet. Widmann, in Nürnberg aufgewachsen, hatte nach dem Studium beim Spielwarenhersteller Schuco in Fürth eine steile Karriere hingelegt, war schon im Vorstand. Er war schnell, forsch und ehrgeizig. An den Wochenenden schrieb er für den »Kicker« über Fußball. Und weil er es gut machte, wurde er ins Trainingslager der Nationalmannschaft geschickt.

»Toller Auftrag. Ich stand am Spielfeldrand neben einem älteren drahtigen Herrn. Da kam der Overath, der Mittelfeldregisseur aus Köln, auf den kleinen Mann zugerannt, zog einen Schuh aus, gab ihn dem Herrn. Der holte aus einem Köfferchen Werkzeug und wechselte einen gebrochenen Stollen aus. Ich erkundigte mich bei einem Kollegen, wer denn der Mann sei, mir wurde gesagt, das ist der berühmte Adi Dassler. Ich habe all meinen Mut zusammen genommen, mich vorgestellt und gesagt, ich hätte vielleicht eine Idee, wie sich das Problem mit den Stollen vermeiden ließe – das könnten wahrscheinlich unsere Techniker bei Schuco in den Griff bekommen.«

Adi Dassler hat nicht groß reagiert. Aber ein paar Tage später hat er Widmann im Fränkischen kontaktiert.

»Er hat gemeint, ,Zeigen, Sie, was Sie können’. Ich ließ die Techniker einen neuen Stollen entwickeln, und wir haben die Produkte in Erlangen an der Uni getestet. Es war ein Erfolg. Da hat Herr Dassler erklärt, er will mich in seiner Firma. Anfangs wollte ich ja nicht, aber er hat nicht nachgelassen. Und so habe ich 1972 gewechselt. Bin dann 18 Jahre bei adidas gewesen.«

»Es war wunderbar, für die Beiden zu arbeiten.«

Widmann hat seinen Chef verehrt. »Er hatte immer neue Ideen, war nie mit dem Erreichten zufrieden. Und er war zusammen mit seiner Frau der ideale Chef für ein Familien-Unternehmen, das es zur Weltfirma schaffte. Der Chef fühlte sich am wohlsten bei den Technikern, Käthe Dassler war eine energische, klar denkende Geschäftsfrau mit dem Herz am richtigen Fleck und großem Geschick im Umgang mit wichtigen Kunden – es war wunderbar, für die Beiden zu arbeiten.«

Nur in einem waren sich der »Horst« und sein »Chef« nicht grün. Manchmal wollte Adi Dassler sehen, wie die Tests an der Uni in Erlangen liefen. »Ich bring’ Sie hin«, sagte Widmann (einer, der gern schnell und gut gelebt hat). Er fuhr mit seinem Porsche vor der Firma in Herzogenaurach vor. Adi Dassler musste sich zusammenfalten, um in den Sportflitzer zu klettern.

Amüsiert besah sich Käthe das Spektakel.

Einmal hat sich der »Chef« das gefallen lassen.

Hernach erklärte er: »Ich bin zu alt für Deinen Schmarrn. Das nächste Mal fahren wir mit meinem Wagen. Bin doch kein junger Hüpfer mehr.« Von da an saß Horst Widmann im Fonds einer Limousine, wenn er mit dem »Chef« unterwegs war.

»Hat mir auch nicht geschadet.«

Man setzte sich an den langen Tisch in Widmanns Wohnzimmer. Teure Gemälde an den Wänden (»Hat meine Frau ausgesucht, ich bin der Banause«). Die Haushälterin servierte Kaffee und Gebäck. Widmann aß mit Appetit, den Kaffee trank er schwarz und ungezuckert. Er erzählte und erzählte. War voller Leben. »Wollen Sie wissen, wie wir damals Puma auf der Tartanbahn überholt haben? Soll ich Ihnen sagen, warum die neuesten Produkte heute nichts taugen? Können Sie sich vorstellen, was das für ein Loch gerissen hat, als der Chef gestorben ist? Und was eine Kraft seine Frau in den nächsten Jahren gehabt hat?

Ich erzähle es Ihnen, sagte er. Nach eineinhalb Stunden war er ein wenig müde. »Wir machen ein anderes Mal weiter. Schreiben Sie erst einmal auf, was wir jetzt geredet haben. Hat mich gefreut.«

Ja.

Und versprochen: Es wird aufgeschrieben.

Autor: Detlef Vetten
Foto : © PUMA / Kardos