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20. MARCH 2024 »SEHR STARK GEWORDEN« (TEIL 3 VON 3)

Vor 90 Jahren haben Katharina Martz und Adi Dassler in Pirmasens geheiratet. Das ist der Beginn eines der erfolgreichsten »Startups« im vergangenen Jahrhundert gewesen. Daraus wurde eine ganz simple Gleichung: Käthe + Adi = adidas. Folge 3.

Adi Dassler verliebt sich in die 17-jährige Katharina Martz. In Pirmasens ist daraufhin erstmal die Hölle los.

Käthe Dassler und ihre Schwester Marianne erinnerten sich gern an die Irrungen und Wirrungen des Jahres 1934 und an das, was darauf folgte.

Käthe: Der Vater hat sehr geschimpft, das stimmt. Er hat es ja gut gefunden, dass ich Lehrerin werden wollte. Der Vater hatte mich schon zu einem Seminar in Speyer angemeldet – und dann das! Plötzlich habe ich nicht mehr Lehrerin werden wollen!

Marianne: Das war ein Theater. So bös‘ habe ich unseren Vater vorher und nachher nicht gesehen. Ich habe meine Eltern, als die Geschichte mit der Käthe und dem Adi ernst geworden ist, das einzige Mal beim schlimmen Streiten erlebt. Der Vater hat die Mutter sogar angegriffen. Grad, dass er sie nicht gleich geschlagen hat! Ich war neben ihr gestanden, ich war ja dabei, ganz hilflos, ich habe meine Mutter gehalten. Man kann das nicht glauben, was das für ein Theater in unserer Familie war.

Käthe: Der Vater wollte, dass der Adi und ich uns nicht mehr treffen.

Marianne: Aber dann hat die Mutter eine Lösung gefunden. Sie hat den Vater beruhigt und gesagt: »Pass auf, ich fahre nach Herzogenaurach und schau mir mal das an, wo er herstammt.« Das hat sie gemacht, sie war nicht lange dort, zwei, drei Tage. Dann kam sie wieder heim und meinte, das hat schon alles seine Ordnung. Wenn die Käthe sich wirklich so früh binden will, dann soll es halt sein.

Käthe: Genau, ich erinnere mich. Der Mutter war es am Anfang auch nicht so recht. Sie hat gemeint, dass ich zu jung zum Heiraten bin. Aber als sie gemerkt hat, wie ernst es mir und dem Adi ist, hat sie es akzeptiert. Dann konnte ich mich auch mit ihr unterhalten, über die Ehe und so.

Marianne: Dann ist es ganz flott gegangen.

Käthe: Geheiratet haben wir in Pirmasens. Sehr einfach. In der Kirche, es war der 17. März vierunddreißig, ein Samstag war‘s. Wir sind hinterher auch gar nicht ins Wirtshaus. Man hat nicht das Geld dafür gehabt. Gefeiert wurde zuhause, die Mutter hatte gekocht. Waren nicht viele Leute bei der Hochzeit: Meine Familie, der Adi und ich, Adis Bruder Rudolf…

Marianne: Genau der Rudolf. Das war ein Auftritt…

Käthe: Wie meinst Du das?

Marianne: Das hast Du wohl verdrängt. Der Rudolf – ich nenne den nur »Puma« - der »Puma« ist zum Polterabend im März mit einem Vertreter aus Kaiserslautern gekommen, spät, besoffen und laut. Der hat das schöne Fest ruiniert. In seinem Suff hat er gesagt, »Merkt Euch das, in einem Jahr habt ihr Eure Tochter wieder, ich schick sie Euch mit der Post.«

Käthe: Ja, das habe ich verdrängt. Ich erinnere mich an die Hochzeit und an die Flitterwochen, das war eine wunderbare Zeit. Wir sind in die bayerischen Berge, nach Neuhaus bei Schliersee. Gewohnt haben wir beim Käser, der hat an Fremde vermietet, er war der Bahnhofsvorstand. Der Adi hat mir das Schilaufen beigebracht. Bis dahin war ich nur ein paarmal so rum gerutscht, wenn es in der Pfalz einen Schnee gehabt hat.

Marianne: Eine gute Ehe habt ihr gehabt. Ich kann mich erinnern, dass Du einmal übel dran warst. Da hast Du die Sigrid, nein die Brigitte, zur Welt gebracht, Danach warst Du im Wochenbett so krank, dass ich geheult habe. Ich habe nachts – damals gab’s ja kein Auto, kein Telefon um diese Zeit in Herzogenaurach – da bin ich nachts zum Dr. Wölfel gelaufen und der ist gekommen. Und war ganz ratlos. Wir haben gedacht, Du stirbst. Da war 1936 der Horst, die Inge ist 1938 geboren im Juli, bei Siebenschläfer. Ich habe immer Angst gehabt, dass Du die nächste Geburt nicht überlebst – aber Du hast Dir nichts anmerken lassen. Der Adi war ein guter Ehemann, immer treu, immer an Deiner Seite.

Käthe: Wenn es einer wissen muss – dann Du. Du warst schließlich Teil der Familie.

Marianne: Ja. Ich habe meine Schule nicht ganz fertig gemacht, weil ich mitbekommen habe, dass Du mich ganz gut brauchen kannst, da drüben in Herzogenaurach. Unsere Mutter hat das auch mitbekommen und gesagt, es wäre ganz gut, wenn ich nach Herzogenaurach ziehe. Sie hat sich Sorgen um ihre sensible Tochter gemacht.

Käthe: Wie bitte?

Marianne: Naja, der »Puma« und seine Frau haben versucht, Dir das Leben zur Hölle zu machen. Deshalb hat ja meine Mutter gesagt, du musst unbedingt zur Käthe. Die wollen die Käthe rausekeln. Sind wir mal ganz ehrlich: Ich bin nicht gerne von der Schule weg. Ich bin nicht die Allergescheiteste, aber bin immer gut durchgekommen. Ich war sehr beliebt bei unserem Schuldirektor. Wir waren blonde Mädchen, wir waren sehr beliebt, auch die Käthe. Aber die Mutter hat gesagt, »Marianne, Du bist stärker als die Käthe, Du musst ihr jetzt helfen«.

Käthe: Es hat geholfen – aber ich hätte das auch allein…

Marianne: Ja, das stimmt. Du bist mit den Jahren sehr stark und energisch geworden. Wenn es um was gegangen ist, dann hast Du das Kämpfen angefangen. Aber als Du so jung aus der Schule gekommen bist, war das alles sehr sehr viel für Dich. Und ich bin gern nach Herzogenaurach. Zwei Pfälzerinnen sind besser als eine Pfälzerin.

Käthe: Es stimmt schon – mit Rudolfs Familie ist es immer ärger geworden.

Marianne: Der Adi und Du – Ihr konntet machen, was Ihr gewollt habt. Immer und immer haben sie sich eingemischt. In alles. Auch in den Haushalt; dabei hat die Käthe besser gekocht als die Friedl, die wesentlich älter war.

Käthe: Da muss ich jetzt ein bissl lachen. Gell Marianne, Du hast die »Pumas« nicht gemocht?

Marianne: Hund und Katz! Ich könnt‘ Feuer schreien. Ich habe den Rudolf nicht gemocht. Dann habe ich die Geschichten von früher gehört…

Käthe: Als der Adi und der Rudolf das Unternehmen aufgebaut haben.

Marianne: Ach, der Rudolf hat doch nichts aufgebaut. Da waren die schlechten Jahre, die Inflation. Vierundzwanzig war genau die Inflationszeit. Der Rudolf hat keine Arbeit gehabt, arm wie eine Kirchenmaus war der. Da hat Adi ihn aus Mitleid aufgenommen, und dann die Familie dahinter. Der »Puma« hat – ich weiß nicht genau, was er gelernt hat – er war mal bei der Polizei. Da ist er aber nicht geblieben. Aufs Kaufmännische hat er sich verstanden, dann war wohl in einer Lederfabrik in Nürnberg beschäftigt. Und dann hat ihn der Adi aufgenommen. Das war Gnade, aber der »Puma« hat es nicht gedankt.

Die Brüder sind ja so verschieden gewesen. Die haben überhaupt nichts Gleiches gehabt. Der »Puma«-Angeber, der war immer so derb, so grob, so protzig. Da hat immer geschrien, ein Angeber und ein Weiberheld ist er gewesen.

Käthe: Jetzt ist’s aber wieder gut.

Marianne: Nein. Eins muss ich noch loswerden.

Einmal hat er was mit einer Hausangestellten gehabt, die war aus Höchstadt. Marie hat sie geheißen, die war Dienstmädchen, noch sehr jung. Und mit der hat er ein Techtelmechtel angefangen. Einmal hat er sie abgebusselt in der Küche und die Großmutter ist dazu gekommen. Dann hat er gesagt: »Ja, gell mein Mudderla…« und hat scheinheilig getan. Dinge sind passiert, die gibt’s gar nicht bei normalen Menschen.

Käthe: Die ersten Jahre in der Ehe – das war eine große Umstellung.

Marianne: Ich habe mich oft gewundert, wie ihr das alles geschafft habt, der Adi und Du.

Käthe: In Herzogenaurach sind wir im Erdgeschoss der Villa eingezogen, im ersten Stock haben der Rudolf und die Friedl gewohnt, im zweiten Stock die Schwiegereltern. Die habe ich sehr geschätzt. Der Christoph war ein Romantiker, ein Büchermensch – bei der Familienforschung hat er seinen Dassler-Stamm bis 1600 dokumentiert, in der Zeitung Geschichten und Gedichte und so Sachen über die Heimat veröffentlicht. Die Schwiegermutter, die Paulina: Auf sie hast Du Dich verlassen können. Sie war – wie soll ich sagen? – sie war wie ein sauber gestimmtes Klavier. Immer der richtige Ton. Und energisch ist die Paulina gewesen! Der hast Du so schnell etwas nicht mehr ausreden können, was sie sich in den Kopf gesetzt hat.

Marianne: Erst als sie alt war, wurde sie milder. Da sind wir dann, es war nach dem Krieg, einmal in der Woche in der Stadt ins Café, haben Kuchen gegessen und unsere Likörchen getrunken. Da ist die Paulina dann immer ganz fidel und redselig geworden.

Käthe: Also, zuerst einmal habe ich die Wohnung eingerichtet. Ein Glück, dass wir in Pirmasens so viele Menschen in der Familie waren, da habe ich gewusst, was auf mich zukommt.

Wir hatten ein Esszimmer, ein Fremdenzimmer, das Arbeitszimmer, ein kleines Wohn- und Schlafzimmer, das Bad und die Küche. Im Schlafzimmer waren die Möbel aus Birnbaum und Nussbaum, alles auf Hochglanz poliert. Im Wohnzimmer Bilder aus den Bergen und Blumen-Stilleben, da war auch ein Gemälde von der Nordsee. An allen Fenstern Gardinen, viele Pflanzen. Das Geschirr, das Besteck, ein bisschen Garten.

Das war viel Arbeit. In den ersten Jahren hatte ich ja niemanden, der mir zur Hand gegangen ist.

Marianne: Aber Du hast immer alles piccobello in Ordnung gehabt.

Käthe: Ich habe schon ein bisschen Sorge gehabt, wie das jetzt werden würde, mit dem Verheiratet-Sein. Naja, eines habe ich von daheim gekannt: Dass der Mann morgens aus dem Haus geht und dann erst einmal weg ist. Der Adi und der Rudolf haben ja ein Unternehmen mit 50, 60 Angestellten geführt – da war viel Arbeit zu erledigen. Ich habe vom Geschäft rein gar nichts verstanden. Ich wusste, dass sie Sportschuhe verkaufen. Für Turner, Fußballer, Handballer, Tennisspieler, Leichtathleten, Bergsteiger, Schifahrer.

Marianne: Viel Zeit für Euch habt Ihr nicht gehabt. Die Kinder sind ja schnell gekommen.

Käthe: So war es halt. Um fünf in der Früh‘ hat Adi gefrühstückt, ich habe alles auf den Tisch gestellt. Dann ist Adi rüber in den Betrieb und ich bin nochmal ins Bett. Zum Frühstück haben wir Kaffee gehabt und Marmeladenbrot, vielleicht ein Obst, nur sonntags ein Ei.

Mittags ist Adi zum Essen gekommen. Er hat sich schnell an meine Küche gewöhnt, die war ihm eh lieber als die fränkische Küche mit den vielen Knödeln und dem vielen Fleisch. Er mochte Gemüse, Kartoffeln und Gemüse.

Um Punkt zwölf musste das Essen auf dem Tisch stehen; und die Suppe durfte nicht zu heiß sein. Das musste schnellschnell gehen. Nach dem Essen hat er sich ein bisschen hingelegt. Eineinhalb Stunden Mittagspause, dann ist er wieder in die Fabrik, die Uhr hat man danach stellen können.

Zwischen sechs und sieben ist er abends heimgekommen. Oft wollte er dann nur eine Salatplatte, eine vegetarische, aber mit allem Drum und dran. Ich habe ja gern ein Stück Fleisch gehabt, das war nicht seins.

Oft ist er um acht Uhr abends noch einmal für eine oder zwei Stunden ins Büro. Oder er hat in der Zeitung gelesen. Die Bücher waren für mich; wenn überhaupt, hat der Adi einen Krimi gelesen.

Manchmal habe ich ein bissl was auf dem Klavier gespielt, aber so richtig gern hat er das nicht gemocht. Er konnte mit der klassischen Musik gar nichts angefangen. Volksmusik und Schlager hat er gehört. Zu mir hat er manchmal gesagt: »Geh, dreh den Radio auf, dann haben wir eine Musik, und Du brauchst Dich nicht mit der Klimperei abplagen.«

Am Sonntag ist er mit den Freunden zum Sporteln. Waldläufe haben sie gemacht, manchmal sind sie zur Sprunggrube und in den Sand gehüpft. Das war dann schon wieder Arbeit, weil der Adi die Technik von allen ganz genau studiert hat und sich Gedanken machte, wie seine Schuhe noch besser werden.«

Marianne: Mein Johnny war oft beim Sport dabei. Wenn er heim gekommen ist, hat er erzählt, dass wieder wer fünf Meter weit gehüpft oder hundert Meter in zwölf Sekunden gerannt ist. Da war der Johnny ganz begeistert. Kinder halt.

Käthe: Als wir zwei Jahre verheiratet waren, ist der Horst zur Welt gekommen. Zwei Monate später waren die Olympischen Spiele, der Adi hat den Kofferraum von unserem Opel Olympia mit Schuhen voll gepackt und ist mit einem Angestellten nach Berlin gefahren.

Gewohnt haben sie in einem Hotel, das nicht so teuer war. Für alle Tage hatten sie Eintrittskarten, oft fürs Olympiastadion. Und der Adi hat gesagt, dass er einem amerikanischen Sprinter zwei Paar Schuhe geben will. Der hieß Jesse Owens und war ein ganz berühmter Sportler in den Staaten.

Schneller als der ist keiner, hat der Adi gemeint.

Ich bin mit dem Horst in Herzogenaurach geblieben, der Rudolf hat sich um die Fabrik gekümmert. Mit dem Adi habe ich ganz wenig Kontakt gehabt. Telefonieren war teuer, und der Adi war sparsam.

Aber einmal hat er angerufen und war ganz aufgekratzt. Der Owens hatte schon wieder Gold gewonnen, und Adi sagte:

»In meinen Schuhen.«

Detlef Vetten (Der Text ist der Biographie »Der Mann, der nicht singen konnte - und die Frau, die nicht klimpern durfte« entnommen)