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19. MARCH 2024 »GANZ UNSCHULDIG WAR'S«

Am 17 März 1934, vor 90 Jahren also, heirateten Katharina Martz und Adi Dassler in Pirmasens. Das war der Beginn eines der erfolgreichsten »Startups« im vergangenen Jahrhundert. Es ist eine ganz simple Gleichung geworden: Käthe + Adi = adidas. Folge 2.

Wenn Käthe Dassler und ihre Schwester Marianne sich an die Geschehnisse 1933 und 1934 erinnerten, hatten sie den Schalk im Gesicht. Es sind gute Jahre gewesen, alles in allem. Zum Beispiel der Moment, in dem Käthe den jungen Adi Dassler zum ersten Mal traf.

Käthe: Es war November, sehr kalt. Zufällig habe ich die Haustür aufgemacht. Er war sehr verlegen und hat gesagt, »Guten Abend, ist Ihr Vater zuhause?« Ja, habe ich gesagt, ob ich den Vater holen soll. Und er soll doch erst einmal reinkommen, der war ja ganz verfroren.

Ja, hat er gemeint – und dann hat er so technisches Zeug daher geredet, das ich nicht verstanden habe. Ich bin ja noch zur Schule gegangen und habe ganz andere Sachen im Kopf gehabt als diese Geschichten mit den Schuhen und so. Es ging um Rennschuhe und Fußballstiefel. Gut dran war, dass das mit einem Besuch nicht erledigt war. Das hat sich hingezogen, das geht nicht so schnell. Der Vater und der Adi haben viel zu besprechen gehabt, und immer wieder sind Muster von einem zum anderen gegangen. Und die Botengänge haben wir machen müssen.

Marianne: Oder er ist zu uns gekommen. Er hat sich wohl gefühlt bei uns, der Adi.

Käthe: Ihm hat gefallen, wie wir als Familie waren. Wir Kinder haben uns mehr an der Mutter als am Vater orientiert. Das war ja verständlich.

Marianne: Der Vater war ja nicht so oft zuhause. Er war auch strenger.

Käthe: Wir haben ihn nicht so oft zu sehen bekommen. Er war ein fleißiger Mann. Der Vater hat geschafft und geschafft und geschafft. Für die große Familie.

Marianne: Und trotzdem ist es sparsam zugegangen bei uns.

Käthe: Die Mutter und der Vater haben gewusst, wofür es war. Sie wollten uns die beste Erziehung mitgeben, dafür haben sie Entbehrungen in Kauf genommen. Pirmasens ist sowieso keine reiche Stadt gewesen, und obwohl der Vater ein Unternehmer war, mussten wir zuhause die Mark zweimal umdrehen.

Marianne: Aber davon haben sie uns nicht so viel spüren lassen.

Käthe: Nein, beim Essen wurde schon einmal über die Firma geredet. Ansonsten…

Marianne: …Wenn der Vater einmal zuhause war, hat er seine Zeitung gelesen oder ein Buch.

Käthe: Ab und zu, an Sonntagen war er auch auf den Spaziergängen dabei.

Marianne: Wir waren viel unterwegs.

Käthe: Das hat die Mutter geliebt, das Spazierengehen.

Sie war sehr poetisch, sehr romantisch in ihren jungen Jahren. Da hat sie Gedichte geschrieben und Tagebuch. Auch Gebetbücher. Die hat sie selbst geschrieben. Wenn wir auf Spaziergängen waren – die Pfalz ist ja sehr schön zum Wandern -, dann hat sie manchmal ein Gedicht aus dem Kopf aufgesagt.

Marianne: Manchmal, im Sommer haben wir auch draußen gepicknickt.

Käthe: Das war sehr schön. Alles haben wir von zuhause mitgebracht und dann auf einer Bank schnabuliert.

Marianne: Die Mutter war eine starke Frau. Selbst ist sie bei den Klosterschwestern aufgewachsen. Mit vier Jahren war sie Vollwaise, hat keine Eltern mehr gehabt, um diese Zeit. Sie wusste auch nie, an was ihre Eltern gestorben sind; es war vermutlich Tuberkulose. Einer hat‘s, der steckt den anderen an und so weiter. Und innerhalb eines Jahres ist erst die Mutter gestorben und dann der Vater. Ich habe die Todesanzeigen, alles. Und den Stammbaum.

Käthe: War unser Mutter ein Einzelkind?

Marianne: Zu zweit waren sie, es gab da noch eine Schwester, die war älter als sie. Die Großmutter hat die andere lieber gehabt, die ist gefördert worden. Unsere Mutter war immer im Liebfrauenhaus, also im Waisenhaus. Das war schlimm – aber gleichzeitig war es auch ein Glück: Sie hat alles gelernt, was man lernen kann.

Käthe: Und das hat sie dann an uns weitergegeben.

Marianne: Wir haben alle daheim kochen müssen, jede Woche ist ein anderer drangekommen, weil wir ja Zeit hatten, keine Schule und so, haben wir kochen müssen. Da haben wir das Kochen gelernt. Unsere Mutter war eine unbezahlbare Mutter, in allem. Sie hat uns Klavierspielen lassen, wir haben fast kein Geld gehabt, jede Woche den Klavierlehrer bezahlt und so weiter. Drei Stück hintereinander. Am Samstag wieder Klavier, und so weiter. Die haben alle Opfer gebracht, aus uns Kindern was zu machen.

Käthe: Streng und liebevoll waren sie, unsere Eltern.

Marianne: Ich habe ja auch keine Erfahrung gehabt. Wir haben auch nicht ausgehen dürfen wie heute die jungen Leute. Immer schön daheim. Und wenn wir dann mal ausgegangen sind, dann waren wir immer zu zweit und zu dritt. Eine allein ging nicht fort. Die Mutter ist halt im Kloster groß geworden. Das war unser Glück, eigentlich.

Käthe: Ja, unsere Familie hat auch dem Adi gefallen. Und er war so wissbegierig. Alles wollte er vom Vater erfahren. Wie man den besten Leisten baut, wie man mit den Maschinen umgeht, wie man die Bücher führt und mit den Angestellten umgeht.

Marianne: Im Beruf war er ein stiller Besessener. In der Schuhfachschule blieb ein Schüler zwei Jahre, bis er fix und fertig alles gelernt hatte. Und der Adi ist gekommen und hat es in einem Jahr geschafft. Der ist nachts nicht streunen gegangen – er war ja schon über dreißig – und ist immer noch an den Schuhen gewesen und hat geübt und probiert. Das hat es wohl nie mehr gegeben: einmal und nicht wieder. Das ist wirklich wahr.

Unser Vater war Modelleur, also gelernter Leistenmodelleur, die Formen, die Leisten wurden damals ja alle aus Holz gemacht. Heute werden sie alle aus Plastik gemacht, dafür brauchen sie aber auch Modelleure; damals sind diese sehr selten gewesen. Mein Vater war bekannt an der Schuhfachschule, wenn es um Leisten gegangen ist. Dann haben die Lehrer von der Schuhfachschule immer alle zu meinem Vater geschickt. Und so ist der Adi zu meinem Vater gekommen.

Da hat er immer mit meinem Vater besprochen, die Rennschuhleisten und das und jenes. Wenn die Muster fertig waren, wenn sie mein Vater gemacht hatte, dann haben die Käthe und ich – die Käthe war 15, 16 Jahre alt und ich war zwei Jahre jünger – immer miteinander zum Adi in die Wohnung gedurft. In einem vornehmen Haus hat er oben ein Riesenzimmer gehabt, mit Bad, mit allem. Aber sie durfte nie allein hingehen, weil ja der Adi ledig war und jung. Da hat immer die Mutter oder der Vater gesagt, ihr geht miteinander.

Dann sind wir quer durch die Stadt zu der Villa getippelt, es hat ja kein Auto gegeben, er wohnte weiter weg.

Käthe: Immer in Begleitung war ich. Hätte aber gar keine Anstandsdame gebraucht. Ich fand den Adi nett – mehr aber auch nicht. Ich war viel zu jung, um mich auf eine Liebelei einzulassen. Ich bin in die Schule gegangen, meine Interessen waren das Klavierspiel und das Lesen, ich wollte einmal Lehrerin werden. Mit den Burschen habe ich nichts im Sinn gehabt.

Marianne: Das war ganz normal. Dass die Burschen interessant sind, das haben wir erst allmählich mitbekommen.

Käthe: Der Adi war am Anfang nett und freundlich und ein Kavalier, das hat mir gefallen. Ich habe mitbekommen, dass er sich sehr angestrengt hat in der Schule. Davon hat mein Vater auch immer wieder gesprochen. Dieser Dassler hatte die Tageskurse von acht bis zwölf und von zwei bis sechs Uhr abends belegt. Und dann ist er um acht Uhr abends wieder in der Schule gewesen. Für den Abendkurs bis um elf. Dann hat er noch die Hausaufgaben gemacht.

»So einen wie diesen Dassler«, hat der Vater gesagt, »haben wir hier noch nicht gehabt.« Das war auch die Meinung vom Schulleiter, dem dicken Herrn Spitz. Für mich war der Adi einfach ein netter Bekannter.

Marianne: Aber dann hat er doch – bei allem Fleiß und bei allem Lernen - Zeit gehabt, dass er Dich ins Café einlädt. Und ins Kino.

Käthe: Ja, er hat sich wohl in mich verliebt. So richtig habe ich das gar nicht gemerkt, am Anfang. Sicher habe ich Ja gesagt, als er mich eingeladen hat. Da war ja nicht Liederliches dabei. Ich hatte immer meine Anstandsdame dabei.

Marianne: Das war ich.

Käthe: Hätte es nicht gebraucht. Es war auf jeden Fall das erste Mal, dass ich ins Kino ging. Wir haben »Zwei Herzen im Dreivierteltakt« gesehen.

Marianne: Nein Käthe, das stimmt jetzt nicht. Es war »Der Kongress tanzt«.

Käthe: Ehrlich? Ich erinnere mich anders. Egal. Auf jeden Fall war noch ein Studienkollege vom Adi dabei. Das war ein Schwede. Nilsson hat der geheißen. Tage Nilsson.

Marianne: Mit dem hat er auch zusammen gewohnt.

Käthe: Ja, und dorthin machten wir die Botengänge.

Marianne: Du wiederholst Dich. Naja, wir sind wie zwei Blödele auf dem Sofa gesessen, und der Adi hat uns immer Eszet-Schokolade angeboten. Eszet, das waren so dünne Scheiben mit Mandelsplitter. Dann sind wir wie zwei brave, schüchterne Mädchen da gesessen und er hat uns immer angesprochen. Der Tage war auch dabei, das war alles völlig unschuldig.

Käthe: Ja, die waren anständig, die konnte man präsentieren.

Marianne: Dann hat uns der Adi auch schon mal an der Schule abgeholt, am Mädchen-Lyzeum war das.

Käthe: Ganz unschuldig war’s, ich schwör’s.

Marianne: Und irgendwann hat eben der Adi mal unsere Mutter gefragt, ob die Käthe am Samstag mit darf ins Kino. Er hat gesagt, dass sein Freund Tage mit dabei ist. So hat sie mitgedurft, zum ersten Mal. Die Mutter hat da großes Vertrauen gehabt.

Käthe: Der Adi war ein ruhiger Mann. Wir haben uns schon verstanden, aber wir mussten uns an die Mentalität des Anderen gewöhnen.

Marianne: Jaja, die Franken und die Pfälzer!

Käthe: Der Adi war halt ein Franke. Die Leut‘ von dort sind viel sturer und ganz anders in der Art als wir Pfälzer. Wir sind froh und lustig, wir nehmen alles viel leichter als die Franken – manchmal kann man uns sogar als leichtsinnig bezeichnen, wir verdauen die unangenehmen Sachen schneller und sind nicht nachtragend. Da unterscheiden wir uns von den Franken. Als ich nach Herzogenaurach gekommen bin, habe ich mir die Menschen angeschaut und gesagt: Hier werde ich nie sterben.

Marianne: Weißt, ich sag Dir mal was. Ich bin ja später auch nach Herzogenaurach gezogen. Pirmasens war zwar keine Großstadt – aber da lebten immerhin fünfzigtausend Menschen. Wir hatten höhere Schulen, große Unternehmen, wir hatten Arbeiterviertel und viele vornehme Häuser und so weiter. Dann ist der Adi nach Pirmasens gekommen, danach sind wir nach Herzogenaurach gezogen. Das erste Mal, als ich da war, bin ich richtig erschrocken. Ich kam nach Hause zurück und habe zu meinen Eltern gesagt: »Meine arme Schwester, ich möchte nicht dort leben, das ist wie eine Strafe.«

Käthe: So schlimm war es nicht. Aber ich musste mich schon an die neue Kultur gewöhnen. Gut, dass der Adi und ich haben zueinander gepasst haben. Er war ein heiterer Franke – und ich eine etwas ernsthaftere Pfälzerin.

Er kann schon ein Sturkopf sein, aber wenn es um den Sport geht, wird er zum Buben. Und – was nicht viele wissen – er hat als Junger ganz gut Zither spielen können.

Marianne: Ach was!

Käthe: Das habe ich anfangs gar nicht gewusst. Überhaupt: Dass er ein wunderbarer Mann für mich ist, habe ich erst langsam erkannt.

Marianne: So ein Backfisch warst dann doch nicht.

Käthe: Der Adi hat sich wohl zuerst in mich verliebt. Wenn er mit seinem technischen Kram zum Vater gekommen ist, hat er mir immer eine Kleinigkeit mitgebracht. Meistens war’s Schokolade. Später hat er sich getraut, mich einzuladen, zu einem Spaziergang oder in ein Café.

Marianne: Immer in Begleitung, immer in Begleitung.

Käthe: Naja, und da ist man sich ein bissl näher gekommen, und dann hat es gefunkt, auch bei mir. Im November haben wir uns zum ersten Mal gesehen, im April zu Ostern hat er mir einen Heiratsantrag gemacht.

Marianne: Achja, der Heiratsantrag, das war vielleicht ein Theater.

Detlef Vetten (Der Text ist der Biographie »Der Mann, der nicht singen konnte - und die Frau, die nicht klimpern durfte« entnommen)