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26. MARCH 2024 ADIDAS/DFB – DA PASST KEIN BLATT DAZWISCHEN

Aus! Aus! Es ist aus!

Von 2027 an ist adidas nicht mehr Partner des Deutschen Fußball Bundes. Schwer zu glauben. Dabei ist es so eine gute Beziehung gewesen. Durch dick und dünn. Und zu den größten Titeln. Adidas/DFB – da passt kein Blatt dazwischen

Ein Korb für den Sepp

Hoppla!

Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft hat in Lyon gegen Frankreich mit 2:0 gewonnen. Das ist eine schöne Überraschung. In den vergangenen Monaten – ach was: Jahren – hat der DFB ein Abo auf schlechte Schlagzeilen gehabt.

Nun ja – vielleicht geht es jetzt wieder bergauf für den deutschen Fußball.

Die letzte Schreck-Schlagzeile verstörte übrigens in der vergangenen Woche das Sport-Business. »Adidas-Aus nach über 70 Jahren: DFB-Kicker tragen ab 2027 Nike« vermeldete das Zweite Deutsche Fernsehen.

Am Firmensitz in Herzogenaurach kann man sich denn auch nicht übermäßig über den Sieg beim Freundschaftsspiel freuen. Zu spüren sind in dem Ort an der Aurach: Sorge um die wirtschaftliche Zukunft des Groß-Arbeitgebers; Unverständnis über die Trennung vom DFB; Groll darüber, dass mal wieder Geld die Welt regiert.

»Das ist eine schlechte Nachricht für Herzogenaurach und die Region«, erklärt der Erste Bürgermeister German Hacker (SPD). Man könne sich nur »Augen und Ohren reiben« über die Kommunikation des DFB »und wie das mal eben vom Himmel fällt.«

Hacker redet von den »zwei neuen Fußballplätzen im Endstadium des Baus, um mehr Kapazitäten zu schaffen. Und dass der Homeground ab 2027 nicht mehr von den Nationalmannschaften benutzt wird, kann ich noch nicht wirklich glauben.« Überdies seien da »wirtschaftliche Folgen für die Region, deren Ausmaß derzeit noch nicht abzusehen sind.«

Kommunalpolitiker Hacker wirkt noch rational – im Vergleich zu ein paar sehr bekannten Kollegen, die sich in der Causa adidas auf die Schnelle ein paar Punkte an den deutschen Stammtischen abholen wollen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wünscht sich öffentlich und ungefragt »mehr Standortpatriotismus«, Gesundheitsminister Lauterbach hat wegen adidas/DFB akutes Sodbrennen und kotzt sich in den sozialen Medien aus - und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder fühlt sich miserabel: »Der deutsche Fußball war immer auch ein Stück deutsche Wirtschaftsgeschichte. Die Nationalelf spielt in drei Streifen – das war so klar, wie dass der Ball rund ist und ein Spiel 90 Minuten dauert. Es ist falsch, schade und auch unverständlich, dass diese Geschichte jetzt enden soll.«

Eines ist klar: 2027 geht nach fast 75 Jahren eine für die Ewigkeit geschmiedete Beziehung zu Ende. Bis dahin müssen sich DFB und adidas möglichst würdevoll durch ein aasig langes »Trennungsjahr« wurschteln.

An dieser Stelle hilft es vielleicht, auf die lichtvollen Jahre der Beziehung zwischen adidas und dem Deutschen Fußball Bund zurückzublicken. Die Texte sind der eben erschienen Biographie »Der Mann, der nicht singen konnte – und die Frau, die nicht klimpern durfte« (Autor: Detlef Vetten) entnommen.

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Vierter Juli 1954.

Vormittag.

Am 4. Juli 1954 schmeckt dem Geschäftsmann Rudolf Dassler die Zigarre nicht: Er sitzt in Herzogenaurach und ist »Zaungast« beim Finale der Fußball-Weltmeisterschaft im schweizerischen Bern.

Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft hat sich überraschend ins Endspiel gekämpft und trifft am Nachmittag auf die favorisierten Ungarn.

Der Puma-Chef ist sauer. Hätte er ein bisschen mehr Gespür gehabt, dann würden die deutschen Fußballspieler am Nachmittag in »seinen« Schuhen auflaufen.

Aber sie werden Produkte aus dem Hause adidas an den Füßen haben. Produkte vom Erzrivalen. Schuhe vom Adi, vom gehassten Bruder.

Schlimmer konnte es nicht kommen für den Puma-Chef.

Vier Jahre zuvor hat ihm der DFB-Trainer Sepp Herberger Avancen gemacht. Sollte Rudolf Dassler die Nationalmannschaft ausrüsten, dann wäre das eine feine Sache.

So weit, so gut. Dann aber meinte Herberger, er erwarte im Gegenzug einen kleinen Beratervertrag.

An diesem Tag fehlten dem Unternehmer die Visionen. Und er vergriff sich im Ton. Dem sensiblen Sepp erklärte er: »Sie sind ein kleiner König. Aber wenn Sie uns nicht passen, wählen wir einen neuen Bundestrainer.«

Puma-Werksmeister Georg Hetzler erinnert sich 2007:

»Im Jahr 1950 kam Herberger zu uns bei Puma in die Firma hereinspaziert und stellte unserem Chef Rudolf Dassler hohe Forderungen. Tausend Mark im Monat wollte er. Nachdem unser Chef den Herberger abgewiesen hatte, verließ der Herr Herberger das Haus wieder und ist natürlich gleich zum Bruder von unserem Chef gelaufen.

Bis dahin hatte Rudolf Dassler eine sehr gute Beziehung zu Herberger und hat ihn in Ausrüsterfragen stets beraten. Der Bundestrainer ist bei uns im Hause ein und aus gegangen. Aber dann war von heute auf morgen Schluss. Dieser Mann käme ihm nicht mehr ins Haus, sagte der Chef zu uns.«

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Die Klötzelei

Weil sein Bruder Rudolf – wir sind in den ganz frühen 1950-er Jahren - die Marktsituation falsch einschätzt und in seinem Geiz den Fußball-Bundestrainer Sepp Herberger brüskiert, kommt Adi Dassler zum Zug. Er wird Zeugwart der deutschen Nationalmannschaft. Herberger und Dassler – beide sind nicht leichtgläubig und paktieren nie mit dem Erstbesten – mögen einander und haben diesen Traum:

Die Vision vom ganz großen Auftritt bei der Weltmeisterschaft 1954.

Herberger sieht den sensiblen Fritz Walter – jung ist der nicht mehr, Walter ist Jahrgang ’20 – als den Leitwolf eines hungrigen Rudels.

Der Mannschaftskapitän der Deutschen ist Perfektionist. Er beobachtet, wie der Trainer und sein »Zeugwart« immer wieder die Köpfe zusammen stecken. Fritz Walter will wissen, was sie aushecken.

Sie sagen es ihm. Dassler tüftelt an Schuhen, wie sie noch niemand bislang gesehen hat.

Adi Dassler hat dem DFB-Trainer einen Brief geschrieben:

»Ich arbeite schon länger an einem leichten Fußballstiefel, um den Spielern alle Möglichkeiten zu geben, die die heutige Spielweise verlangt.«

Anfangs reagiert der Bundestrainer – so ist er nun mal – verhalten.

Das passt dem umtriebigen Dassler nicht. Er schreibt einen Brief:

»Leider habe ich inzwischen nichts mehr wegen der aufschraubbaren Klötzchen gehört und möchte doch für die einzelnen Spieler der Ländermannschaft Fußballstiefel mit auswechselbaren Klötzchen herstellen. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir Nachricht geben würden, ob Ihnen die Ausführung der innen versenkten Schraubengewinde zusagt.«

Im nächsten Schreiben ist der Ton dringlicher:

»Ich bin stets bereit, Ihnen in der Schuhfrage mit Rat und Tat zur Seite zu stehen… Außerdem verbindet mich eine tiefe Freundschaft zu vielen von Ihren Jungens, sodass meine Aufgabe als Schuhfachmann eine Idealaufgabe geworden ist…«

Herberger, der sich wie immer nach allen Seiten absichert, will in der Schuh-Causa keine Fehler machen. Es gibt im Verband Hinterbänkler, die den Bundestrainer auf dem Kieker haben und ihm seine Nähe zu Dassler als Kungelei anhängen wollen. Rudolf Dassler strickt an der Legende verbissen mit.

Also verfasst der DFB-Coach für den Verband eine »Stellungnahme in der Angelegenheit Dassler« und erklärt, »dass die Nationalmannschaft und das Gros der Nationalspieler den adidas-Schuh und den adidas-Schuhbeschlag bevorzugen. Wenn dem so ist, dann deshalb, weil die meisten unserer Spieler aufgrund ihrer Erfahrungen die betreffenden Erzeugnisse der Firma adidas für die tauglichsten und besten halten. Ich bin derselben Meinung wie die Spieler. Wer von den Nationalspielern anderer Meinung ist, braucht sich nicht zu scheuen, dies kund zu tun oder entsprechend zu handeln. Er kann völlig unbeeinflusst mit dem Schuh spielen, den er sich wählt.«

Sepp Herberger legt in seinem Plädoyer noch eins drauf:

»Dassler ist beim Länderspiel in Istanbul zum Schuhmacher unserer Mannschaft avanciert. Dort hatten die Türken den Platz mit schweren Walzen bearbeitet und ihn so in einen Zustand ganz besonderer Art gebracht. Meine Versuche, einen türkischen Schuhmacher aufzutreiben, schlugen alle fehl. Aus dieser Patsche half uns Dassler. Er hat erst die halbe Nacht und dann mithilfe der Ersatzleute am Spieltag damit zugebracht, unsere Schuhe entsprechend zu beklötzeln.«

Schließlich gießt der ansonsten taktisch-vorsichtige Sepp Herberger Öl ins Feuer:

»Adolf Dassler hat sich immer streng an meine Forderung gehalten, mit meinem Namen keine Reklame zu machen.«

Ganz anders der Puma-Chef. Rudolf Dassler habe Herbergers Namen »benutzt, eine groß aufgezogene Reklame einzuleiten. Das unqualifizierbare, unwahre Vorgehen der Firma Rudolf Dassler war für mich der Anlass, Herrn Adolf Dassler zu sagen, dass er sich in Zukunft nicht so streng daran zu halten brauche, meinen Namen nicht zu erwähnen.«

Schön und gut. Aber was ist mit den Wechselstollen? Er sei Herberger sehr verbunden, drängt Dassler, wenn er ein paar seiner Besten überzeugen könne, dass sie die Schuhe testen. Der Bundestrainer findet den Vorschlag letztendlich klasse. Er erklärt Fritz Walter und Max Morlock zu Testern der Prototypen. Die Beiden bekommen nagelneue Schuhe nach Nürnberg und nach Kaiserslautern geschickt. Dazu werden sie von Dassler instruiert, wie sie die Prototypen einlaufen und für den Ernstfall vorbereiten sollen. Der Unternehmer aus Herzogenaurach formuliert noch ein paar motivierende Zeilen:

»Bei der Entwicklung dieses leichten Fußballstiefels habe ich verschiedene Nachteile der bisherigen Schuhe aufgrund meines Beisammenseins mit der Nationalmannschaft abgestellt… Es ist mir gelungen, das Gewicht wesentlich zu reduzieren. Weiterhin arbeite ich zur Zeit an neuen auswechselbaren Kunststoffklötzchen, die unseren Spielern gegenüber ihren Konkurrenten enorme Vorteile bringen.«

Max Morlock kann sich anfangs nicht so recht mit den neuen Schuhen anfreunden. Zu leicht seien die, da könne man sich auf Schritt und Tritt verletzen. Dassler lädt den Spieler nach Herzogenaurach ein und überzeugt ihn vom Gegenteil – danach gibt es Kaffee und Kuchen. Alles gut: Im WM-Jahr schwört Max Morlock dann auf die Dassler-Turnier-Schuhe.

Bei Fritz Walter ist es Liebe auf den ersten Blick. Gerade die Sache mit den Klötzchen leuchtet ihm ein. Wenn das Wetter wechselt, kann Dassler in Windeseile die Stollen wechseln. Nur mal angenommen, es beginnt zu regnen, der Boden wird schwer und feucht – das ist »dem Fritz sei Wetter« -, dann dreht Adi die langen Klötzchen unter die Sohle, und Walter tanzt mit dem Gegner Sirtaki.

Fritz Walter, begeistert von den WM-Schuhen aus Herzogenaurach, hat jetzt eine Mission. Erst wird er seine Freunde aus Kaiserslautern, die sich für die Nationalmannschaft empfehlen, überzeugen, dann den Rest der DFB-Kollegen.

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Em Fritz sei Wetter

Adi frühstückt mit Sepp Herberger und der Nationalmannschaft im Hotel »Belvédère in Spiez. In ein paar Stunden werden die »Männer« (so nennt der Bundestrainer die Spieler) im Wankdorf-Stadion auflaufen. Gegen die Ungarn haben sie wohl keine Chance. Aber das ist nicht tragisch. Sie haben beim Turnier soviel erreicht, dass die Nation schon jetzt durch Tage der Euphorie tanzt.

Adi, steht nach dem Mittagessen mit Sepp Herberger auf dem Balkon. Die Männer schauen über den Thuner See und sind den Umständen entsprechend ernst gestimmt.

Noch ist es trocken.

»Wäre schön, wenn es regnen täte«, sagt der Bundestrainer.

»Hm«, meint Adi Dassler. »Des wär‘ gut. Em Fritz sei Wetter wär‘ des.«

Naja, sagt Sepp Herberger – er ist derjenige von den Beiden, der im Bedarfsfall mehr redet, der Adi ist ein eher wortkarger Mann. Naja, morgens habe es ja überhaupt nicht nach Regen ausgesehen. Jetzt gebe es da hinten im Westen so eine dunkle Wolkenwand, die könne eventuell »dem Fritz sein Wetter« nach Bern bringen.

»Hm.« Adi Dassler besieht sich die dunklen Wolken und denkt, dass er die Schuhe umrüsten müsse, falls das Wetter Kapriolen schlägt. Nur nichts vergessen im Koffer. »Hm.«

Der deutsche Reporter Nummer Eins bereitet sich auf seinen Job vor. Herbert Zimmermann, legt Mantel, Schal und den breitkrempigen Hut zurecht – das ist sein »Dress« bei wichtigen Matches. Zimmermann checkt die Ledertasche: Pressekarte, Ausweis, Unterlagen und Notizen, maschinengeschriebene Profile der Spieler, Zitate (vor allem von Herberger, Fritz Walter und Helmut Rahn). Alles dabei. Zimmermann macht einen Probelauf mit dem Mikro und dem Philips Aufnahmegerät.

In zehn Minuten trifft er sich mit den Kollegen von der Technik. Der deutsche Vorzeige-Reporter ist bereit.

(Was er nicht wissen kann: Sein 90-Minuten-Auftritt im Radio wird später die Tonspur zum WM-Endspielfilm sein. Aber das nur nebenbei.)

Herbert Zimmermann ist am 29. November 1917 in Alsdorf bei Aachen zur Welt gekommen. Sein Abi baute er in Freiburg, das war 1937. Danach volontierte er kurz bei Zeitungen, rückte zum zweijährigen Wehrdienst ein.

Dann war der junge Mann ein Teil des Krieges. Offizier und Panzerkommandant. Westfeldzug. Kesselschlachten von Minsk und Wiasma. Krim. Baltikum. Evakuierung aus dem Kurland-Kessel. Hauptmann. Schwere Verwundung 1942.

Die letzten Jahre des Krieges arbeitete Zimmermann – wenn es Aufträge gab – als Reporter beim Rundfunk in Berlin. Nach 1945 verlas er beim Nordwestdeutschen Rundfunk zuerst Wasserstände, wurde Sportreporter. Nach den Olympischen Spielen 1948 spezialisierte er sich, 1950 kommentierte er das erste Nachkriegs-Länderspiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Er wurde Sportfunkchef, und blieb Begleiter der DFB-Elf. Sepp Herberger mochte seinen Stil nicht (»zu pathetisch«) aber er respektierte Zimmermann, weil er sich im Fach auskannte.

Nun hat Zimmermann sein erstes internationales Finale. Er steigt mit den Kollegen ins Taxi und sagt dem Chauffeur:

»Zum Stadion.«

Alles klar.

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Nicht aufgeben, Max

In einer Stunde geht der Bus, Herberger bittet den Max noch zu einem kleinen Spaziergang. Max Morlock, so plant es der Bundestrainer, wird zu einem der entscheidenden Spieler des Finales werden. Der Mann ist blendend in Form und hat seine Nerven im Griff. Also: noch einmal spazieren gehen.

Der Uferweg führt zunächst am alten Saathaus vorbei, einem mittelalterlichen Schuppen auf Stelzen. Links das schmale, elegante Schloss, darunter am Hang Weinberge. Spiez hat eine der höchstgelegenen Reblagen nördlich der Alpen.

Der Weg schlängelt sich durch Wiesen und am Freibad vorbei, unter hohen Buchen durch, deren Äste auf den See hinausragen.

Während der WM rechnete Familie Morlock mit dem Aus im Viertelfinale und plante einen Italienurlaub für die Zeit nach Spiez. Ehefrau Inge war schon mit Freunden und Urlaubsgepäck angereist - und musste jetzt dann noch eine Woche auf Max warten. Naja, dann geht es eben nach dem Endspiel südwärts.

»Max«, sagt der »Chef«, »Max, Sie sind verantwortlich für die Ordnung. Lassen Sie sich nicht aus der Ruhe bringen. Das wird ein langes Match, das wird ein harter Kampf. Geben Sie nie auf, Max.«

Der Nürnberger nickt ernst. Er ist bereit. Ein Musketier ist er. Zerreißen wird er sich. Aufgeben? Gibt es nicht.

Er bekommt vom »Chef« einen Klaps auf die Schulter.

Zimmer 303 des Hotels Belvédère in Spiez, direkt mit Blick auf den idyllischen Thuner See. 18 Quadratmeter. Hellblaue Blümchentapete, ein Doppelbett, ein Tischchen und ein Bad, in das nur ein Gast passt. Zwei junge Männer haben sich in den letzten Wochen das Zimmer geteilt: Fritz Walter und Helmut Rahn. Die Beiden hatten keine Wahl – der Bundestrainer hatte es so bestimmt – der Fritz Walter und der Helmut Rahn sind während der WM »auf Bude«.

Fritz Walter ist ein feinnerviger Sportler aus Kaiserslautern, ein Zweifler – einer, der noch aus Kriegszeiten weiß, wie beschissen das Leben sein kann. Helmut Rahn, Stürmer aus Essen, lässt sich gern als »Boss« ansprechen, ein »Brecher« ist er, stämmig, wuchtig, selbstsicher. Einer, der sich kaum um die Regeln kümmert und manchmal nur schwer ins Team einzubinden ist.

Diese Zwei hat Herberger zusammengelegt. Der Fritz Walter würde aufpassen, dass der »Boss« nicht zu sehr über die Stränge schlagen würde. Und zu Rahn sagte Herberger: »Helmut, baue Se mir den Fritz wieder uff!«

Das hat der »Boss« dann auch gemacht.

Er tut es in den nervigen Stunden vor der Abfahrt. Rahn stellt sich auf den kleinen Balkon vor dem Zimmer und parodiert eine Essener Marktfrau: »Prima schnittfeste Tomaten, Leute! Oma-Lutsch-Birnen für zahnlose Großmütter, Rotkohl, Weißkohl, Wirsing, Spinat. Leute, heut‘ wird alles verschenkt! Wenn keiner kommt, dann leckt mich am Arsch.«

Und Fritz Walter, dem eigentlich vor Nervosität speiübel sein müsste, vergisst für einen Moment, dass gleich Finale ist.

Man verlässt das Zimmer – es ist kurz vor zwei, gleich fährt der Bus zum 45 Kilometer entfernten Wankdorf-Stadion – steigt die Treppen hinunter in die Halle. Rahn birst vor Kraft und Tatendrang, Fritz Walter zweifelt wieder einmal an der Welt und an sich selbst.

Unten warten die Mannschaftskameraden, sie sehen entschlossen und mutig aus. Sie sind die, die der »Chef« nach seiner – bisweilen recht martialisch formulierten - Philosophie geformt hat:

»Männer, die darauf brennen, ihren Schild immer wieder neu aufzupolieren, anstatt voller zufriedener Genügsamkeit auf Lorbeeren auszuruhen…

Sie sind die Best-Trainierten des gesamten Turniers...

Wenn man Oberwasser hat, wenn das Spiel von uns gemacht und beherrscht wird, dann kein Nachlassen der Konzentration, sondern Steigerung des Wollens und der Kräfte. Zerstören – zu null! Niedermachen!! Wenn man einen Gegner beherrscht, dann atomisiert man ihn!...

Alles deckt, greift an, kämpft, alle ermuntern sich, helfen sich, springen einander bei! Und am Ball: Spielen!!!«

Sie sind bereit. Einsteigen bitte!

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Heelmuuth!!!

Adi Dassler betritt die Arena hinter dem Chef. Es regnet Bindfäden. 60000 Zuschauer sind schon vor dem Anpfiff pudelnass. Der deutsche Trainer und sein Zeugwart schieben sich durch ein Spalier von Militärs mit Käppis.

Herberger sondiert die Umgebung, er blickt den Menschen in die Augen, er sieht nach vorne auf dem Platz, wo sich die elf Mann seiner Wahl schon an der Mittellinie fürs Abspielen der Hymnen formieren, Herberger schaut nach oben und lächelt leicht, weil der Regen fällt und fällt und fällt.

Adi Dassler hat den Tunnelblick. Er nimmt die Schultern vom »Chef« wahr, ansonsten registriert er nichts. Er hat eine Werkzeugtasche umgehängt und sieht aus wie ein Boxer, der sich auf den ersten Schlagabtausch einstimmt.

Herberger ist 57, Dassler wird im November 54. Beide gerade mal einsfünfundsechzig groß, beide haben scharf geschnittene Gesichter und die Körperspannung von Männern, die ihr Leben lang Sport getrieben haben und sich selbst keine Schlampigkeiten durchgehen lassen. Sie tragen Trenchcoats mit Lederknöpfen, Herberger einen hellen mit Revers, Dassler einen dunklen mit geschlossenem Kragen.

Die Mäntel sind an den Schultern, den Armen und über den Oberschenkeln nass. Als sich die deutschen Nationalspieler aufwärmten, saßen Sepp und Adi auf einer Bank und bemerkten den Regen nicht. Durchnässt trotteten sie zur letzten Besprechung in die Kabine.

Auch jetzt beim Wieder-Betreten der Arena spüren sie nichts.

Sie arbeiten sich zur deutschen Bank vor und setzen sich neben die Reservisten und den Mannschaftsarzt. Herberger vergewissert sich, dass er den kleinen Block und etwas zum Schreiben griffbereit hat. Dassler prüft ein weiteres Mal den Inhalt der Werkzeugtasche.

Fünf Uhr. William Ling, der Schiedsrichter aus England, pfeift das Spiel an.

Es beginnen 105 Minuten, die ein ganzes Land verändern. In den ersten Minuten verlieren die deutschen Spieler in Bern gegen die Ungarn sofort den Boden unter den Beinen. Ruckzuck steht es 2:0 für die Favoriten.

Dann rappeln sich Herbergers »Männer«, scheinbar schon ausgeknockt, hoch. Sie stehen auf und kämpfen sich ins Match zurück. Als sie – erschöpft sehen sie aus – zur Pause in die Kabine schlappen, steht es 2:2.

Adi Dassler fixiert die langen Stollen in den Schuhen, Masseur Erich Deuser gibt Tee aus, die Spieler sitzen auf den Bänken, es riecht nach Schweiß, muffigen Textilien und nach Arnika. Eigentlich müsste die Stimmung großartig sein, kriegerisch, siegerisch. Aber Sepp Herberger erinnert sich später:

»Gestritten haben sie. Verteidiger Liebrich schimpfte mit den Stürmern, Rahn hatte es mit Posipal, Turek schnauzte Kohlmeyer an. Da habe ich zum ersten Mal richtig gebrüllt. ,Jetzt ist aber Ruhe‘, habe ich gerufen. ,Wir können hier Weltmeister werden, und ihr kriegt euch in die Haare. Jetzt rede ich. Die Ungarn werden jetzt gleich noch einmal über Euch herfallen. Die wollen den Sack zumachen. Passt auf! Ihr müsst noch einmal 45 Minuten brennen. Kämpft! Einer für alle, alle für Einen. Ihr wisst, um was es geht. So – und jetzt raus auf den Platz!‘ Danach war Ruhe. Bis der Schiedsrichter Ling den Kopf rein steckte und meinte: Let’s go!«

Die Ungarn stürmen, die Deutschen stemmen sich dagegen. Offener »Schlagabtausch«. Pardon wird nicht gegeben. Die Ungarn schießen das Tor nicht. Bald wird Ling abpfeifen.

In diesen 105 Minuten am 4. Juli 1954 scheint in Deutschland das Leben erstarrt.

Und einer hat das Wort. Es ist der Reporter Herbert Zimmermann.

Heute ist wichtig, dass wir in jeder Sekunde am Ball bleiben…

60000 im Berner Stadion, aber wir Deutschen glauben, dass Fritz-Walter-Wetter ist…

Jetzt stürmen die Ungarn von links. Kosics müsste schießen, Nachschuss Puskas – Toor! Was wir befürchten haben, das ist eingetreten. Der Blitzstart der Ungarn hat ihnen in der sechsten Minute die Führung eingebracht…

Nie war Deutschland im Endspiel, es ist ein großer Tag es ist ein stolzer Tag. Seien wir nicht vermessen...

Puskas will einer Steilvorlage nachsausen, rutscht aber aus. Aber…

Einmal hatten wir Glück, als Kosics hinfiel, aber dann: Tibor erzielt das 2:0…

Jetzt ist Otmar Walter durchgegangen, aber das Spiel der deutschen Stürmer läuft nicht...

Fritz Walter, von dort zu Rahn. Und:

Toor…

Der Schuss von Rahn wurde abgefälscht, im Spagat warf sich Maxl Morlock ins Gefecht…

Der Anschluss!

Kurz vor dem 3:2 durch Rahn sagt der Radioreporter Zimmermann: Wann sieht man ein solches Endspiel, so ausgeglichen?

Dann:

Der Ungar hat den Ball verloren diesmal, gegen Schäfer. Schäfer nach innen geflankt. Kopfball. Abgewehrt. Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen. Rahn schießt: Tor, Tor, Tor, Tor...Tor für Deutschland, Linksschuss von Rahn. Schäfer hat die Flanke nach innen geschlagen. Schäfer hat sich gegen Bozik durchgesetzt. 3:2 führt Deutschland fünf Minuten vor dem Spielende. Halten Sie mich für verrückt, halten sie mich für übergeschnappt…

Jetzt hat Fritz Walter den Ball über die Außenlinie ins Aus geschlagen. Wer will ihm das verdenken? Die Ungarn erhalten einen Einwurf zugesprochen, der ist ausgeführt, kommt zu Bozik – aber: Aus! Aus! Aus! Aus! Das Spiel ist aus, Deutschland ist Weltmeister, schlägt Ungarn mit 3:2 Toren im Finale in Bern!

Es gibt ein Foto, das Adi Dassler, den Unternehmer, in dem Moment nach Rahns Tor zeigt. Dassler hat zum Schutz gegen den Regen eine milchweiße Plastikhaube übers Haar gezogen, hat aber in der Aufregung vergessen, die Hausfrauen-Kopfbedeckung unterm Kinn zu verknoten. Nun ist er hochgesprungen und schreit etwas.

Es könnte ein »Jaaa!!!« sein. Oder »Toor!!!«. Oder »Heelmuuth!!!«.

Egal, was er da brüllt. Es ist vermutlich der größte laute Jubel in Adi Dasslers Leben.

In adidas - oder gar nicht

1974 wird das adidas-Team Deutschland Fußball-Weltmeister. Alles scheint erzählt:

Zähe Vorrunde. Debakel gegen die DDR in Hamburg. Revolte in Malente. Beckenbauer wird zum Rebellen, Trainer Schön wird zum Statisten, zum »Mann mit der Mütze«. Finale gegen Holland. Breitner macht einen Elfer rein, Müller müllert zum Titel…

Tausendmal gehört, tausendmal betört.

Eine wohl eher unbekannte Geschichte erzählt Franz Beckenbauer dem Autor Keith Cooper:

»Angefangen hat der Schmarrn 1970. Da haben nach der Weltmeisterschaft Kollegen gestichelt, sie müssen ja nicht unbedingt in adidas spielen, wenn 1974 Weltmeisterschaft ist. Da gäbe es doch was zu holen. Von Puma sind schon Angebote im Raum gewesen. Geld, Prämien, andere Boni…

Aber dann hat der Trainer – Helmut Schön war ja normalerweise ein Harmoniemensch – zusammen mit Uwe Seeler ein Machtwort gesprochen.

Jeder, der bei der WM ’74 dabei sein will, muss adidas tragen. Da beißt die Maus keinen Faden ab.

1974 haben die von Mönchengladbach noch einmal einen Aufstand gemacht. Netzer, Vogts und Heynckes spielten bei der Borussia für Puma und das wollten sie in der Nationalmannschaft auch.

Da ist Helmut Schön – das war gar nicht seine Art – energisch geworden. «Keine Diskussion», hat er erklärt, «ihr spielt in den adidas-Schuhen – oder ihr spielt nicht.«

Sie spielen. Müller »müllert«.

Sie werden Weltmeister.

Es ist der siebte Juli 1974.

Adi Dassler freut sich narrisch.

Dann wird es still.