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18. AUGUST 2021 EWIGE TORE - ZUM TOD VON GERD MÜLLER

Gerd Müller wird zu Grabe getragen.

Das wird – wie man auch in seiner Heimatstadt Nördlingen sagen würde – a große Leich‘.

Denn mit Gerd Müller ist ein Mann gestorben, der den Menschen über die Maßen viel gegeben hat.

Als der FC Bayern München publik machte, dass der große Gerd Müller tot sei, sagten Freunde (sie wussten um die Schwere seiner Alzheimer-Krankheit), nun habe er es »endlich« hinter sich. Seine Frau Uschi, die ihren Mann seit Dezember 2014 jeden Tag in einer Pflege-Einrichtung besuchte und pflegte (wegen strenger Auflagen in der ersten Welle der Corona-Pandemie hatte sie drei Monate Besuchsverbot), hoffte, »dass er nicht nachdenken kann über sein Schicksal, über eine Krankheit, die dem Menschen die letzte Würde raubt. In den guten Tagen hatte ich das Gefühl, er schläft sanft hinüber.«

Drehen wir die Zeit zurück ins pralle Leben – zum Beispiel zu dem Sommertag in den 1960ern, an dem zwei Männer in Richtung des Mittelkreises schlendern. Sie sind in ein Gespräch vertieft, nehmen die Umwelt nicht wahr; aber die Menschen um sie herum – es sind viele, sehr viele Menschen – beobachten das ungleiche Paar ganz genau. Sogar ein Schupo hat nur Augen für das Duo.


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Das Foto ist vor einem Freundschaftsspiel aufgenommen worden und zeigt den Boss, einen Mann in den mittleren Sechzigern – dunkler Anzug, Einstecktuch, elegant abgetragene Straßenschuhe. Der Andere – nicht sehr viel größer als der ältere Herr, sauber gescheiteltes dunkles Haar, lässiges Outfit, Sportschuhe mit drei Streifen – wirkt neben dem Boss wie ein gelehriger Schüler.

Das sind also zwei von diesen Männern, die ganz wichtig für den Fußball sind. Die Bundesliga gibt es noch nicht lang – mit dieser Realität gewordenen Vision müssen die Altvorderen in den Vereinen erst einmal damit fertig werden. Alle müssen lernen, wie aus »Fußball« »Profi-Fußball« wird.

Die Stadien sind voll, der »kicker« und der montägliche Sportteil der »Bild« ein Muss. Es gibt eine samstägliche Berichterstattung und eine »Sportschau«. Vom neuen Bundestrainer Schön erwartet die Nation Weltmeisterliches. Manchmal schafft es ein Fußballspieler sogar aufs »Bravo«-Cover.

Das also ist die Zeit, in der an einem Sommertag zwei Männer über den Platz gehen. Adi Dassler – das ist der mit dem Anzug, der mit dem Zeigefinger nach vorne weist – hat als der »Schuster der Nation« 1954 schon einen WM-Titel gefeiert. Gerd Müller – das ist der junge Mann, der sich kein Wort des Herrn Dassler entgehen lässt – hat eine großartige Sport-Zukunft gerade vor sich.

Weltmeister wird er übrigens auch werden (Da schießt er das Siegtor im Finale der Weltmeisterschaft 1974 in München, das die Deutschen gegen die Niederlande mit 2:1 gewinnen).

Schon bald wird man über ihn sagen, dass es keinen besseren Mittelstürmer auf dem Globus gegeben habe und geben würde. Auszug aus seiner beruflichen Biographie:

Weltpokalsieger 1976. Europapokalsieger der Landesmeister 1974, 1975, 1976 Europapokalsieger der Pokalsieger 1967. Deutscher Meister 1969, 1972, 1973, 1974 Deutscher Pokalsieger 1966, 1967, 1969, 1971. Europas Torschützenkönig 1970, 1972. Bundesliga-Torschützenkönig 1967, 1969, 1970, 1972, 1973, 1974, 1978. Europas »Fußballer des Jahres« 1970. Deutschland »Fußballer des Jahres« 1967, 1969. 427 Bundesliga-Spiele / 365 Tore. 74 Europapokalspiele / 66 Tore. Weltmeister 1974. Europameister 1972. 62 Länderspiele / 68 Tore

Franz Beckenbauer, selbst mittlerweile 75 Jahre alt, brachte es auf den Punkt: »Alles, was der FC Bayern geworden ist, verdankt er Gerd Müller. Ohne die Tore von Gerd würden wir heute immer noch in der Bretterbude an der Säbener Straße sitzen.« Und Paul Breitner sagt: »Gerd Müller ist der wichtigste und größte Fußballer, den Deutschland nach 1954 gehabt hat. Der FC Bayern und die Nationalelf sind das, was sie geworden sind, durch Gerd Müller. Ich auch.«

Das Foto auf dem Spielfeld hat etwas Symbolhaftes. Adi Dassler – der Mann, der schon soviel erlebt hat und soviel vom Leben kennt – weist nach vorne und sagt:

Gerd, da geht’s lang.

Der Gerd mit seinem einzigartigen Talent hört gut zu.

Und er wird seine Talente auf ähnliche Weise perfektionieren, wie es der Mann neben ihm auch immer tut. Adi Dassler, der Schuh-Visionär, und Gerd Müller, der mit der Lizenz zum Toreschießen – sie können nicht anders:

Immer wieder antreten, immer wieder auf den Platz, immer wieder in den Wettbewerb!

Nicht viele Gerede, wenn es geklappt hat. Eigenlob stinkt.

Das eigene Können kennen. Und sich auch nicht vom Weg abbringen lassen, wenn die Dinge mal nicht ganz so rund laufen (Müller, der Bomber der Nation«, hatte ein paar quälend lange Ladehemmungen, aber aufgegeben hat er sich nie.).

Gerd Müller war regelmäßig in Herzogenaurach. Mal kam er mit den »Bayern« aus München, mal trafen sich die Nationalspieler beim adidas…

War es adidas?

War es der Boss?

War’s die Gastronomie der Vroni Bretting?

Oder war es Käthe Dassler?

Es war alles. Er hat das wie eine Art Familie empfunden.

Es gibt da noch so ein Bild, das eine höchst lebendige Geschichte über Adi Dassler und Gerd Müller erzählt. Und das zeigt, mit welchen Prototypen von Sportlern sich der erfolgreichste Sport-Unternehmer seiner Zeit arrangieren musste.


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Mitte der 1960er. Trainingslager der Nationalmannschaft. Im Hintergrund huscht Uli Hoeneß durchs Bild, Nationaltrainer Schön steht auch auf dem Rasen. Vorne studieren Adi Dassler und Gerd Müller eine Zeitung. Sie reden nicht viel, sie machen sich ein Bild, sie bilden sich eine Meinung. Das ist ein ernsthaftes Gespräch zwischen dem Boss und dem Mann, der jedes Mal, wenn er auf den Platz geht, seine Knochen riskiert. Zwei, denen es um ihr Hand-(Fuß-)Werk geht.

Von rechts außen spinkst ein Blonder in die Zeitung. Der kommt aus Augsburg, auch er ist ein begnadeter Fußballer, einer für die Nationalmannschaft. Helmut Haller, ein wenig vorlaut. Haller schnappte sich den Spielball des WM-Finals nach dem verlorenen Finale gegen England im Wembley-Stadion und machte damit kleine schlitzohrige Geschäfte.

Helmut Haller – der mit Lire-Millionen über die Alpen nach Bologna und Turin geködert worden ist, und kein einziges Bundesligaspiel gemacht hat. Ein echter harter Profi. Ohne Dollar kein Dribbling.

Adi Dassler, für den Sport und Schuhe alles waren. Ein Arbeiter für seine Leidenschaft.

Gerd Müller, der sehr wohl wusste, was er konnte – und der seine Grenzen kannte. Der, abseits vom Sport, zu oft selbst zum »Spielball« der Anderen wurde. Aber wenn ein Ball in der Nähe lag, musste der Gerd dagegen treten. Dollars? Egal.

Wenn er mit dem Boss über einen Fachartikel diskutieren konnte, ging es ihm einfach nur gut.

Das war dann einer von den Abermillionen lebenswerter Augenblicke, die Gerd Müller gehabt hat.

Regelmäßig hat der Gerd beim Boss vorbei gesehen und die neuesten Modelle begutachtet. Er hat geliebt, was er aus Herzogenaurach geliefert bekam.

Das ist auch so geblieben, als er noch ein paar Jahre US-Dollar-Soccer an die Weltkarriere hängte. Wo immer er auch spielte: Die Schuhe mussten von Herrn Dassler kommen.

Einmal, lang nach seiner Karriere, hat er im Fernsehen darüber geredet, wie er den Alkoholismus besiegt hat. Danach versteigerte er ein Paar Schuhe zu einem guten Zweck.

Das Sammlerstück verschwand fast zwei Jahrzehnte. Dann wurde es – Losort Kassel - versteigert.

Original Fußballschuhe von Gerd Müller, getragen bei Spielen als Profi in der US-League bei den Fort Lauderdale Strikes 1981. Adidas "Tango", Länge 27,5 cm. Ungeputzt, mit Wettkampfspuren. In einem Plexiglaskoffer (40x29,9,5 cm). Mit Echtheitsbestätigung von Gerd Müller aus dem Jahre 1981. Der in dem Koffer enthaltende "Dreck" stammt von den Fußballschuhen. Die Schuhe haben auch den Geruch nach Leder und Schweiß durch die Aufbewahrung in diesem Koffer konserviert!!! Originalstücke von Gerd Müller sind kaum zu bekommen, zumal seine Sammlung Anfang der 1980er Jahre in den USA bei einem Einbruch gestohlen wurde. Museumsstück!!!

Wie bitte?

Wie lang um das Objekt geboten wurde?

Nicht mal fünf Minuten. Dann stieg ein Gerd-Müller-Fan so hoch ein, dass das nicht mehr getoppt wurde.

Übers Geld durfte nicht geredet werden.

Autor: Detlef Vetten