25. MAI 2022 DASSLER-VILLA ABGERISSEN
Die Einheimischen sind schon da gewesen und haben den Ort besichtigt. Die haben ihren Sonntagsspaziergang an die Aurach verlegt, sind über die Hanns-Maier-Straße gequert und haben mit ihren Handy Aufnahmen vom Geschehen gemacht. In der Zeitung hat’s auch gestanden: »Abriss der Dassler-Villa steht bevor«. Der ehemalige Bürgermeister von Herzogenaurach, Hans Lang, hat beim »Ortstermin« fassungslos am Bauzaun gestanden: »Das Bürogebäude weg, die Villa weg, alles ein einziger Schutthaufen.«
Fehlte nur noch, dass er gesagt hätte: adidas weg! Und damit hätte er ja ein bisschen Recht gehabt.
Die Villa ist weg. 50 Jahre der adidas-Geschichte platt gemacht. Ein wenig Wehmut darf da schon aufkommen. Oder wie es in der öffentlichen Bauausschuss-Sitzung Katharina Zollhöfer von der Jungen Union ausdrückte: »Die Villa gehört doch zur Geschichte Herzogenaurachs und wäre sicher auch für Touristen attraktiv.«
1934 kommt, frischverheiratet, Käthe mit ihrem Mann nach Herzogenaurach. Dort haben Adi und sein Bruder Rudolf bereits vor zwei Jahren ihr neues Stammhaus an der heutigen Kreuzgasse bauen lassen. Sie wollten es modern und doch klassisch haben, ein bisschen Bauhaus, ein wenig Le Corbusier. So entstand, gut außerhalb der Stadtmauern Herzogenaurachs, leicht erhaben gelegen eine zweistöckige kleine »Villa Hügel«, sehr schnell von Adi auch die »Villa« genannt. Noch ist an der Ostseite der zweite Stock gekappt, und die Bewohner haben einen weitläufigen Dachbalkon.
Der Ort der »Villa« ist mit Bedacht gewählt – sie steht in der Nähe der »Firma«.
1927 hatte das Unternehmen der Gebrüder Dassler zwölf Mitarbeiter und musste sich neue Räumlichkeiten suchen. Rudolf und Adi wurden fündig: Von den Herzogenauracher Schustern war im Jahr 1899 ein Fabrikationsgebäude am Bahnhof, in der Kreuzgasse, errichtet worden. Dieses Gebäude wurde von den Gebrüdern Dassler zunächst angemietet und später gekauft. Vater Dassler war der Chronist seiner Söhne, schrieb 1930 im Herzogenauracher Heimatblatt: »Heute befindet sich darin eine Sportschuhfabrik von Gebr. Daßler mit Export nach der Schweiz, Holland, Österreich, Tschechoslowakei, England und Griechenland.«
Im Erdgeschoß der Dassler-Villa wohnten Adolf und Käthe. Im ersten Stock lebte Rudolf mit seiner Frau Friedl, die er 1928 geheiratet hatte, und dem ersten Sohn Armin. Der zweite Stock gehörte den Eltern, Christof und Paulina.
Es war eine Zweckgemeinschaft. Rudolf kümmerte sich um den Vertrieb. Adi war der Mann an den Maschinen und der Schuhbauer. Er scheute keine Arbeit. Nach Feierabend kam er oft mit weißen Haaren in die »Villa« zurück – dann hatte er den ganzen Tag an der Maschine gestanden, und die schwarzen Locken waren voller Frässtaub.
Die Firma: ein echtes Familienunternehmen. Christof und Paulina waren in den Produktionsablauf eingebunden. Simon Körner, der Mann von Maria Dassler, der Schwester der beiden Firmeninhaber, leitete die Zuschneider an – auch sein Sohn Friedrich (1914 geboren) arbeitete dort. So traf man sich immer wieder in der »Villa«.
Rudolfs und Adis Familien lebten also – mehr schiedlich als friedlich - unter einem Dach, die Fabrik an der Kreuzgasse boomte. 1936 lief und sprang bei den Olympischen Spielen der amerikanische Leichtathletik-Star Jesse Owens in Adi Dasslers Schuhen zu vier Goldmedaillen.
Die »Villa« machte Hoffnung. Da hatten zwei Brüder aus einer Arbeiterfamilie den Ersten Weltkrieg überstanden, sie hatten einen Betrieb hochgezogen, sie hatten die Weltwirtschaftskrise durchgestanden, mit ihren Sportschuhen waren sie die Nummer Eins im Land und auf dem Sprung, die Grenzen zu sprengen.
Träume, das alles. Die Nazis waren mittlerweile an der Macht. Die »Villa« wurde zum Rückzugsort in einer schlimmen Zeit. Käthe und Adi Dassler versuchten, für die Familie ein friedliches Refugium zu erhalten. Ostern, Weihnachten, die Geburtstage wurden gefeiert, als ob »draußen« im Lande nichts geschehe. Adi ging rüber in die Firma und hielt den Betrieb am Laufen.
Das schaffte er auch, als Hitler mehr und mehr aus der Kontrolle geriet. Man musste sich bescheiden in Herzogenaurach, aber die Maschinen liefen weiter. Der Krieg ging verloren, und die Maschinen liefen immer noch. Die Amerikaner standen vor den Toren, der Zweite Weltkrieg ging zu Ende – am 2. des Monats starb Vater Christof…
…und Käthe und Adi mussten die »Villa« räumen.
Sie zogen um in den »Turm« (erbaut 1935). 13 Jahre lebten sie dort, es waren anfangs zehrende Zeiten, dann wurden es Jahre des Triumphs. adidas, das war das wahr gewordene »Wirtschaftswunder«.
Das Unternehmen wurde zum »global player«, adidas gewann auf allen Kontinenten. Adidas siegte bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Bern 1954, bei der WM ‘74 in Deutschland, bei allen Olympischen Spielen und Meisterschaften. adidas brachte Athletinnen und Athleten zu Rekorden, Adi Dassler ersann hunderte von Patenten…
Ende der 1950er – Käthe und Adi Dassler hatten fünf Kinder, Sohn Horst machte bereits die ersten wuchtigen Schritte als Unternehmer – zogen die Dasslers zurück in die »Villa«. In der Zeit darauf wurde umgebaut, angebaut, aufgehübscht. Sogar einen Indoor-Pool und einen »Beach« im Garten bekam das Anwesen später. Adi Dassler spielte auf eigenem Platz im Sommer Tennis und im Winter Eishockey, er liebte das Beobachten der Vögel an den Futterstellen, er ließ die Ameisenhaufen auf eigenem Grund mit Maschendraht schützen, in der »Villa« hatten seine Hunde Ehrenplätze.
Das Haus wurde von Käthe und der allgegenwärtigen »Perle« Vroni geführt. Vroni kümmerte sich um die Dassler-Töchter, um die Herrschaft, um Küche und Haus.
Später – das war nach mehr als 40 Jahren Fulltime-Job – ließ Vroni kurz Revue passieren, wie ihr »Revier« wahrgenommen hatte. Sie tat das mit der lässigen Beiläufigkeit einer Frau, die wusste, dass sie alles prima gemacht hatte.
»Der oberste Stock waren meistens Gästezimmer: drei Doppel- und ein Einzelzimmer. Ein Zimmer für den Horst, mit Bad.
Die Firma ist schnell gewachsen. Und wir hatten viele Gäste, von Anfang an. Ein Zimmer war immer belegt, oft auch alle. Das war viel Arbeit. Die eine Partie reiste ab, ich machte das Zimmer sauber und bereitete es auf den nächsten Besuch vor. Wie ein kleines Hotel war das.
Und dann hatten wir die Einladungen im B-Zimmer. Das sind ganze Bundesliga-Mannschaften (das »B« stand ja für »Bundesliga«) gekommen und hatten immer einen Riesen-Appetit. Wir haben sie alle satt bekommen.«
1978 starb Adi Dassler, 1984 seine Frau. Danach versorgte Vroni noch paar Jahre das Haus. Jeden Tag war sie in der »Villa«. Sie hielt den Staub aus dem Haus, sie wusch die Gardinen. Alles hielt sie tiptop in Schuss.
Dann ging auch sie in Rente.
Und jetzt hat man alles abgerissen. Es ist, wie Hans Lang sagt, ein Jammer. Und dann sagt er noch etwas.
»Hoffentlich lassen sie wenigstens den Turm stehen.«
Autor: Detlef Vetten