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29. JULI 2021 BERT TRAUTMANN - DER HELD VON MANCHESTER

Vor 65 Jahren, im Sommer 1956, schaute ein junger Mann mit einem Verband auf dem Kopf bei Adi Dassler in Herzogenaurach vorbei. Der war begeistert. Er führte den Besucher, einen schlaksigen Zwei-Meter-Mann, durch die Firma, man saß bei Kaffee und Kuchen auf der Terrasse. Die Damen blieben in der Sonne, die Männer gingen noch einmal in die Werkstätten.

Jetzt waren sie unter sich, jetzt ging es zur Sache. Adi zeigte Bernd »Bert« Trautmann die neuesten Entwicklungen von adidas; er redete über seine Pläne und Visionen. Die »Geschichte« der Schraubstollen sei noch lange nicht auserzählt, Adi habe da einige Ideen…

Trautmann, zu dieser Zeit von einem schlimmen Dauer-Kopfschmerz gepeinigt, war beeindruckt. Er vergaß für einen Nachmittag die Beschwerden und ließ sich beeindruckt in die Welt des Adi Dassler entführen.

Dann erzählte er, wie er zu dem Verband gekommen war. »Wir waren mit Manchester im Endspiel um die englische Meisterschaft. Wembley-Stadion. 100000 Zuschauer. Es sind noch 15 Minuten, da rennen die auf uns zu. Ich werfe mich dem Ball entgegen, Peter Murphy rammt meinen Kopf…«

Der Rest der Geschichte ging um die Welt. Trautmann hielt alles, eine Viertelstunde nach dem Zusammenprall war Manchester nach einem 3:1 über Birmingham Meister, Trautmann konnte aber nicht so recht jubeln. Ihm tat der Schädel weh.

Spätestens nach diesem Auftritt sprachen die Engländer nicht mehr von den »ugly germans«. Dieser Trautmann war die Verkörperung eines tadellosen Sportsmannes. Bernhard Trautmann wurde 1923 in Bremen-Walle geboren. Als der VSK Gröpelingen, heute Tura Bremen, 1931 eine Fußballabteilung gründete, gehörte der damals Achtjährige zu deren ersten Spielern. Niemand ahnte jedoch, dass er es einst als Torhüter zu Weltruhm bringen würde. Zumal er zunächst im Mittelfeld spielte – später sogar im Sturm.

Dies änderte sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Freiwillig hatte sich der 17-Jährige 1941 als Fallschirmjäger bei der Luftwaffe gemeldet. Er kam schließlich als Funker an die Ostfront, nach drei Jahren wurde er als Feldwebel an die Westfront abkommandiert. Dort desertierte er kurz vor Kriegsende. Auf dem Weg zurück in seine Heimatstadt Bremen geriet er jedoch in britische Gefangenschaft.

In seinem Gefangenenlager in England wurde regelmäßig Fußball gespielt. Trautmann spielte auch dort zunächst im Mittelfeld. Als sich eines Tages kein Torhüter fand, rief einer der Mitgefangenen ihm zu: »Langer, geh’ du ins Tor!«

Als sein Gefangenenlager 1949 geschlossen wurde, entschied sich Trautmann, in England zu bleiben. Als Torwart spielte er für den Provinzclub St. Helens Town in der Nähe von Liverpool. Dabei erregten seine Paraden solches Aufsehen, dass bald Clubs der Ersten Liga auf ihn aufmerksam wurden.

Dass der Bremer schließlich bei Manchester City unterschrieb, war allerdings alles andere als eine Kopfentscheidung. Eines Tages standen die City-Verantwortlichen vor seiner Tür, während er mit Grippe im Bett lag. Er wollte sie einfach nur loswerden – und unterschrieb den Vertrag.

Als Torhüter von Manchester City hatte Trautmann wegen seiner Wehrmachts-Vergangenheit zunächst mit Anfeindungen zu kämpfen. »Traut the Kraut« waren in dieser Zeit noch die freundlicheren Rufe von den Tribünen. Doch der deutsche Torwart überzeugte die Fans durch sein anständiges Verhalten und seine Leistungen auf dem Rasen. Einen Namen machte er sich dadurch, dass er oft aus dem Tor herausstürmte und sich auf den Ball warf.

Bei einer dieser Aktionen rannte er 1956 im Pokalfinale Peter Murphy vor die Beine. Spielte zu Ende – und wurde als erster Ausländer zum Fußballer des Jahres gewählt.

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Beim Besuch in Herzogenaurach erzählte er Adi Dassler, wie es nach dem Finale wirklich war: »Ich bin mit der Mannschaft zurück nach Manchester zum großen Empfang. Mein berühmter Vorgänger im Tor, Frank Swift, hat mir im Rathaus noch so richtig auf die Schulter geklopft, und ich lag auf dem Fußboden. Es brauchte nur irgendeine verkehrte Bewegung, und …«

Und? fragte Adi.

»Meine Mannschaft ging auf Deutschland-Tournee, und ich fuhr

am Montag zum Osteopathen. Wir nennen die Typen in Manchester Knochenbrecher oder Knochensetzer. Angeblich behandelt der auch die königliche Familie. Mein Kopf hing ja nach rechts herüber, deshalb hat der Doc gesagt: Fünf Wirbel sind herausgesprungen, er wolle die wieder reinsetzen und mich gerade biegen. Beim fünften Wirbel hatte er Schwierigkeiten und bestellte mich in seine Privatklinik. Da haben sie festgestellt, dass mein zweiter Wirbel diagonal durchgebrochen ist.«

Vier Löcher haben sie ihm in die Schädeldecke gebohrt, einen U-Haken eingesetzt. »Ich hab’ nur auf Brettern gelegen, künstlich ernährt haben’se mich. Zeitung lesen: nur mit einer Teleskopbrille.«

»Respekt! Respekt!«, sagte Adi. Das war ein Sportler nach seinem Geschmack.

2018 hat der deutsche Erfolgsregisseur Marcus Rosenmüller nach neun Jahren Arbeit den Film »Trautmann« ins Kino gebracht. Jetzt ist er auch in der ARD-Mediathek zu sehen, dazu gibt es eine beeindruckende Dokumentation (siehe Links unten).

Autor: Detlef Vetten